Visionen fuer europaeische Hochschulen

Visionen fuer europaeische Hochschulen

Experten diskutierten auf einem Symposium an der Universität Siegen über die Zukunft der Hochschulen.

„Wir brauchen eine neue Idee der Universität: Die deutsche, von Humboldt geprägte Universität war das Idealmodell im 19. Jahrhundert, die amerikanische Universität das des 20. Jahrhunderts, aber was ist das Idealmodell für das 21. Jahrhundert?“ fragte Prof. Dr. Barbara Kehm, Direktorin des Internationalen Zentrums für Hochschulentwicklung Kassel. „Ist es die Unternehmerische Universität, die Netzwerkuniversität oder aber die „Multiversity“ mit einer hohen inneren Differenzierung?“

Wie stellen sich europäische Universitäten in Zukunft auf und wie können sie im Kampf um die besten Studierenden und Wissenschaftler/-innen punkten? Diese und andere Fragen wurden beim öffentlichen Symposium „Eine Chance für europäische Universitäten“, das im Audimax der Universität Siegen stattfand, kontrovers diskutiert.

In seinem gleichnamigen Buch schreibt Referent Jo Ritzen, Präsident a.D. der Universität Maastricht, dass es den europäischen Universitäten nicht gelinge, die begabtesten Studierenden anzuziehen. Ritzen ist überzeugt: „Sie sind auch nicht so gut positioniert, dass sie höhere Einschreibungszahlen bei Studierenden aus eher bildungsfernen Schichten erreichen könnten.“

“In keinem internationalen Ranking finden sich deutsche Universitäten unter den Top 50.”

In keinem internationalen Ranking finden sich deutsche Universitäten unter den Top 50, so Ritzen. Um allerdings wettbewerbsfähig gegenüber Universitäten aus dem amerikanischen oder asiatischen Raum zu bleiben, identifiziert Jo Ritzen drei hauptverantwortliche Faktoren:
Die an deutschen Universitäten starre Verwaltung und Bürokratie müsste abgebaut werden, Universitäten müssten die Möglichkeit haben, autonomer zu handeln. Zudem spricht er sich für eine stärkere Differenzierung und eine bessere Finanzierung aus: „Deutschland gibt nur ca. 50 Prozent pro Student dessen aus, was Staaten wie die USA und Japan investieren.“

Ein hochrangig besetztes Podium, moderiert von der Siegener Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Sigrid Baringhorst, erörterte Fragen wie die Rolle von Rankings und deren Ergebnisse für Universitäten. „Über Rankings wird hauptsächlich Reputation verteilt, sie sagen wenig aus über Lehre“, erklärte Barbara Kehm und führte aus: „Auch Spitzenunis sind nicht exzellent in jedem Institut.“ Das umstrittene CHE-Ranking sieht sie hier schon als einen Fortschritt, da es Fächer differenziert betrachtet.

Einigkeit herrschte darüber, dass Rankings zwar eine Orientierungshilfe bieten können, aber nicht ausreichen, um Universitäten differenziert zu bewerten. Prof. Dr. Holger Burckhart, Rektor der Universität Siegen, sieht in Rankings „eine Erststeuerung, die individuell herunter gebrochen werden muss.“ Rankings müssten in der Lage sein, beispielsweise regionale Besonderheiten von Hochschulen abzubilden. Dr. Christian Berthold, Geschäftsführer von CHE-Consulting, wies darauf hin, dass derzeit an einer Machbarkeitsstudie für ein weltweites Ranking gearbeitet wird: „Wir versuchen, die Palette der Indikatoren, an denen Universitäten gemessen werden, zu verbreitern, damit wir ein differenziertes Bild bekommen.“ So sollen zukünftig beispielsweise auch soziales Engagement, Impulse in die Region oder Vermittlung in den Arbeitsmarkt in die Rankings einfließen.

Jo Ritzen bemängelt die nicht ausreichende Internationalisierung deutscher Hochschulen. Haben die deutschen Universitäten aber in dieser Hinsicht wirklich so starke Defizite? Dr. Dorothea Rüland, Generalsekretärin des Deutschen Akademischen Austausch Dienstes, sieht enorme Verbesserungen innerhalb der letzten zehn Jahre: „Wir haben in Deutschland eine große international mobile Studierendenschaft und die Zahlen steigen.“ Ein Land wie Deutschland sei aufgrund der demographischen Bedingungen darauf angewiesen, zu partizipieren: „Behaupten wird sich derjenige, der international sichtbar ist, gute Strukturen aufgebaut hat. Die Basis dafür muss jetzt gelegt werden, auch wenn es derzeit schwierig ist, wo die Hochschulen in Studenten untergehen.“

“Möglichst wenig Struktur, stattdessen viel Wettbewerb”

Doch wie kann Steuerungspolitik konkret aussehen? Wie schafft man es, eine differenziertere dynamische Hochschullandschaft zu entwickeln? Prof. Dr. Klaus F. Zimmermann, Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit in Bonn, sagte: „Eine Struktur zu suchen und diese mit Gewalt zu implementieren, ist der falsche Weg. Wir benötigen möglichst wenig Struktur, sondern stattdessen viel Wettbewerb.“

Abschließend wurden die Teilnehmer der Podiumsdiskussion gefragt, wie ihre Vision der Hochschule im Jahr 2030 aussieht. Werden wir 2030 einen vereinheitlichten europäischen Hochschulraum haben, wie sich Jo Ritzen ihn vorstellt, wird Europa die Ungleichheiten in den Griff bekommen oder stärker auseinanderdriften? „Europäische Universitäten sind 2030 weiterhin blühend, globaler, aber eher privat. Die Menschen, die dort arbeiten und studieren, kommen aus vielen Nationen“, ist Prof. Zimmermann überzeugt. Ähnlich schätzt dies Dr. Dorothea Rüland ein: „Meine Vision ist die einer Internationalen Hochschule. Ausländische Studierende sind ein großer Mehrwert. Internationale Hochschulen werden in Netzwerken arbeiten auf den unterschiedlichsten Ebenen.“

Dr. Berthold bringt einen weiteren Punkt in die Diskussion ein: „Was uns umtreiben wird in Europa, ist das Gerechtigkeitsthema: Wir können wir diejenigen, die weniger Kapital mitbringen, gerechter bezahlen? Wir werden ein anderes Finanzierungssystem kreieren müssen, wenn wir den europäischen Hochschulraum ernst nehmen. Parallel dazu müssen wir ein grenzübergreifendes Fördersystem für die Studierenden aufbauen, welches die Mobilität und die Lebenshaltungskosten stützt.“

Ritzen sieht zweit Hauptherausforderungen: Es müsse mehr für Bildungsgerechtigkeit getan werden und gleichzeitig müsse man Spitzentalente anziehen. Die Weichen dafür müssten auch in der Politik gestellt werden: „Wir sind gefangen in einer Politik, die keine Veränderungen will. Hochschulpolitik, die zukunftsorientiert ist, verliert Wählerstimmen.“

(Quelle: Pressestelle der Universität Siegen)